Radiologische Untersuchungen: Strahlenexposition richtig vergleichen und einordnen

2023-03-08 14:02:34 By : Mr. Steven Chen

Die bildgebende Diagnostik trägt zur kollektiven Strahlenexposition bei. Der einzelne Patient wünscht häufig zu erfahren, was dies für ihn selbst im individuellen Fall bedeutet. Es gibt Orientierungshilfen für die medizinische Praxis, die darüber informieren.

Die Standards für den Strahlenschutz in Deutschland sind hoch. Im europäischen Vergleich würden hierzulande verhältnismäßig niedrige Strahlendosen pro Untersuchung verwendet, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung des Bundesamtes für Strahlenschutz (1). Darin teilt das BfS mit, dass die Referenzwerte für die Strahlenexposition bei medizinischen Untersuchungen weiter gesenkt werden konnten – dies im Mittel um 15 %. „Die Fortschritte in der Medizintechnik haben die Verfahren so verbessert, dass die Strahlenbelastung pro Untersuchung seit Jahren sinkt“, betont Dr. rer. nat. Inge Paulini, die Präsidentin des BfS. Die neuen diagnostischen Referenzwerte sind im Bundesanzeiger publiziert und auf der Internetseite des BfS abrufbar (2).

Die Referenzwerte dienen dazu, die Strahlenexposition von Patientinnen und Patienten zu begrenzen. Wer im medizinischen Alltag Untersuchungen mit ionisierender Strahlung vornimmt, muss sich an ihnen orientieren. Sie werden statistisch so festgelegt, dass die mit einer Untersuchung verbundene Strahlenexposition in 75 % der Fälle unterhalb des Referenzwerts liegen sollte. Sie hängen zudem von individuellen Einflussfaktoren wie Größe und Gewicht ab und berücksichtigen außerdem, dass nicht jede Röntgenabteilung oder -praxis das allerneueste Gerät hat. Bei Verwendung der neuesten Generation eines solchen Untersuchungsgerätes ist daher die reale Exposition deutlich niedriger als der Referenzwert.

Das BfS macht darauf aufmerksam, dass gleichwohl die absolute Zahl einschlägiger Untersuchungen hierzulande hoch ist: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 130 Millionen Röntgenuntersuchungen vorgenommen. Das sind im Durchschnitt 1,6 pro Einwohner. In Deutschland war das von jeher so, wie eine der wenigen Vergleichsstudien dieser Art mit anderen Ländern bereits im Jahr 2005 zeigen konnte (3): Nur in Belgien, Japan und in den USA lag die Anzahl der jährlichen Röntgenuntersuchungen pro 1 000 Personen in einer annähernd ähnlichen Größenordnung. In Großbritannien waren es nicht einmal halb so viele. Von den genannten 130 Millionen Röntgenaufnahmen entfielen gut 40 % auf die Zahnmedizin inklusive Kieferorthopädie (4). Allerdings lässt bereits dieses Beispiel deutlich erkennen, dass die Expositionshäufigkeit als solche nicht unbedingt widerspiegelt, welche Dosis hierbei die Patienten erreicht. Denn die rund 40 % Röntgenuntersuchungen in der Zahnmedizin trugen zu der kollektiven effektiven Dosis lediglich 0,3 % bei.

Das gilt genauso für andere Routineverfahren. Jede 10. Röntgenuntersuchung ist noch immer ein Röntgenthorax, aber diese Standarduntersuchung schlägt bei der kollektiven effektiven Dosis lediglich mit 1 % zu Buche (Grafik 1 ). Umgekehrt verhält es sich mit der Computertomografie (CT): Während diese Aufnahmen wie der Röntgenthorax einen 10 %-Anteil bei der Häufigkeit ausmachen, tragen sie mit 68 % besonders prominent zur kollektiven effektiven Dosis bei (siehe dazu auch Artikel Seite 135 ff.).

Hierzu sollte man wissen, dass diese Abschätzungen zuletzt 2018 publiziert worden sind (4). Seither ermöglicht die weiterentwickelte Gerätetechnik noch niedrigere Expositionen, etwa beim Low-dose-CT. Dennoch spiegeln die Vergleichsdaten die zum Teil erhebliche Differenz zwischen der Anzahl der Untersuchungen und deren Beitrag zur kollektiven Dosis wider.

Patienten sind häufig angesichts anstehender Diagnostik mit ionisierenden Strahlen beunruhigt. Ärzte und Ärztinnen sollten daher aufgrund ihrer Informationspflicht Strahlenrisiken einordnen können. Insbesondere die relative Gewichtung verschiedener Verfahren kann hilfreich sein, um rasch deren Stellenwert in puncto Exposition zu erkennen. Hierfür ist eine Übersicht von häufig verwendeten diagnostischen Verfahren – Röntgen, CT und nuklearmedizinische Untersuchungen – als rasche Orientierungshilfe für Ärzte entwickelt worden (Tabelle ) (5). Sie bietet zudem anschauliche Vergleiche mit einer p.a.-Aufnahme des Thorax, einer gängigen Untersuchung, die Ärzten und auch Patienten geläufig ist.

Zwar wird in der Literatur eine Aufklärungspflicht nach § 639 e BGB bei rein diagnostischen Röntgenuntersuchungen bestritten. Allerdings gibt es laut Strahlenschutzverordnung (§ 124) eine Informationspflicht . Diese kann auch von nichtärztlichem Personal erfüllt oder durch Poster oder Flyer in Warteräumen ersetzt werden. Solche Flyer für die Patienteninformation stellt der Fachverband für Strahlenschutz zur Verfügung (6).

Außerdem kann es hilfreich sein zu verstehen, wie diese medizinische Exposition im Verhältnis zu der jährlichen Strahlenexposition aus natürlichen Quellen zu bewerten ist. Sowohl in der Radiologie als auch in der Nuklearmedizin kommt ionisierende Strahlung zum Einsatz – sei es als Röntgenstrahlung aus einer Röntgenröhre oder einem Computertomografen oder als Gammastrahlung bei Arzneimitteln, die meist injiziert werden. Diese beiden Strahlungsformen sind ebenso wie die Strahlung aus natürlichen Quellen in ihrer Wirkung auf den Organismus identisch (7).

Wichtig für ein Verständnis der Risiken ist die Tatsache, dass ionisierende Strahlung insbesondere DNA-Schäden verursacht, die umso eher drohen, je höher die Zellteilungsrate ist und langfristig die Zellen entarten lassen können. Daher ist zum einen das zellumsatzstarke Knochenmark stets besonders gefährdet. Zum anderen gilt das Kindes- und Jugendalter im Hinblick Strahlenrisiken wegen der Wachstumsvorgänge als vulnerable Phase.

Da die Wirkungen und Nebenwirkungen von ionisierender Strahlung durch ihre Dosis und Verteilung bestimmt werden, ist die effektive Dosis für Vergleiche von großer Bedeutung. Sie wurde eingeführt, um im Strahlenschutz zu erfassen, wie sehr beruflich exponierte Personen gefährdet sind. Die effektive Dosis hat die Einheit „Sievert“ (Sv) oder „Millisievert“ (mSv). Sie berücksichtigt, wie empfindlich die einzelnen Gewebearten eines Organismus auf ionisierende Strahlen reagieren. Dies macht es möglich, die Risiken verschiedener Strahlenarten und Strahlenenergien zu vergleichen: Ähnliche Werte in mSv bedeuten ungefähr gleiches Strahlenrisiko.

Die Risikoerhöhung ist moderat

Auf diese Weise lässt sich die Erhöhung des Malignomrisikos durch ionisierende Strahlung beziffern. Die hiefür zugrunde gelegten Abschätzungen wurden aus den Langzeitbeobachtungen von Überlebenden der Atombombenabwürfe über Nagasaki und Hiroshima in Japan ermittelt – konkret anhand von 22 538 soliden Tumoren bei 105 440 Betroffenen (8). Aufgrund solcher Studien und der Beobachtungen der International Commission on Radiological Protection (ICRP) wird davon ausgegangen, dass ein Lebenszeitrisiko von etwa 25 % besteht, an einem Malignom zu sterben, worin das sehr geringe, strahlenbedingte Risiko bereits enthalten ist (9). Dieses steigt bei einer Exposition von 1 000 mSv um je 5 % an. Für sehr niedrige Dosisbereiche von < 100 mSv schätzt man per Extrapolation eine Risikoerhöhung von lediglich 0,005 % je 1 mSv. Röntgenuntersuchungen liegen meist deutlich unter 1 mSv. CT-Aufnahmen bewegen sich im Bereich von < 1 bis etwa 10 mSv und die üblichen nuklearmedizinischen Untersuchungen liegen ungefähr dazwischen (Tabelle ).

Daher würde eine strahlenmedizinische Untersuchung das Lebenszeitrisiko von 25 % auf 25,005 % erhöhen (7). Allerdings ergeben sich von diesem gemittelten Wert je nach Alter und Geschlecht gewisse Abweichungen. Bei Kindern im Alter unter 10 Jahren ist dieses Risiko etwa 2-–3-mal so hoch wie bei der mittleren Altersgruppe der 30–39 Jahre alten Erwachsenen. Wer bereits 70–79 Jahre alt geworden ist, hat nur noch ¹∕5 desjenigen Risikos, das die Altersgruppe zwischen der 3. und 4. Lebensdekade zu erwarten hat. Frauen haben immer – für alle Tumorarten und alle Altersgruppen – ein höheres Risiko als Männer.

Zu berücksichtigen ist ebenfalls die Exposition gegenüber natürlichen Quellen von ionisierender Strahlung. Deren Ausmaß und Dosis hängt zum Beispiel vom Wohnort (wegen der Höhenstrahlung aus dem Weltraum) oder von der Bodenkontamination ab (radioaktive Stoffe in Gesteinen). Die Beschaffenheit von Böden und Wasser bestimmt wegen des Zerfalls von darin enthaltenem 226Radium auch die Radonkonzentration in der Luft (5). Schließlich kommt noch der Eintrag durch Nahrung und Trinkwasser dazu.

Dies alles variiert die jährliche Exposition der effektiven Dosis um den Faktor 5 – je nachdem ob man zum Beispiel in der norddeutschen Tiefebene oder in einer Mittelgebirgsregion wohnt (Karte ). Obwohl die Expositionsunterschiede so erheblich sind, gibt es keinerlei epidemiologisches Sicherheitssignal, das auf regionale Häufungen von Krebsrisiken innerhalb von Deutschland hinweisen würde. Dies fehlt ebenfalls, wenn man globale Vergleiche der natürlichen Exposition zugrunde legt (10).

Einen weiteren Bezugspunkt für die Einordnung des vergleichsweise geringen Expositionsrisikos bei zahlreichen radiologischen Untersuchungen stellen Langstreckenflüge dar. Wegen der dabei wirksam werdenden Höhenstrahlung beträgt die Exposition bei jedem derartigen Flug mit 0,1 mSv etwa oder knapp so viel wie beim Röntgen von Extremitäten, Schädel oder Thorax. Diese CIR oder cosmic ionizing radiation ist insbesondere in ihrer Auswirkung auf Personal, Flugzeugcrews oder Flugingenieure intensiv untersucht worden, da die Exposition im Laufe der Jahre kumuliert. Ob für solche Dosisbereiche überhaupt Risiken zu befürchten sind, ist danach selbst bei Vielfliegern äußerst fraglich.

Ein umfassender aktueller Review zu dieser Frage konnte zeigen, dass einige Tumore unter Flugpersonal – der zivilen und militärischen Luftfahrt – zwar häufiger vorkommen als in der übrigen Bevölkerung (11). Dazu zählen zum Beispiel Melanome, Brustkrebs beim weiblichen oder Lymphome beim männlichen Personal. Bei genauerem Hinsehen sind die Assoziationen jedoch entweder nicht signifikant oder sie könnten auch ganz andere Ursachen haben. So besteht zum Beispiel in Bezug auf das erhöhte Lymphomrisiko beim männlichen Flugpersonal ein klarer Confounder, da auch erhöhte HIV/AIDS-Raten in diesem Zusammenhang vorkommen. Insgesamt, so das Fazit dieses aktuellen Review, gäbe es wenig konsistente Evidenz, wonach sich ein Krebsrisiko des Flugpersonals direkt mit CIR in Verbindung bringen ließe.

Die Information von Schwangeren ist besonders sensibel zu handhaben, geht es doch hier um die mögliche Beeinträchtigung der embryonalen oder fetalen Entwicklung. Generell wird empfohlen, jegliche Exposition zu vermeiden und Untersuchungen zu verschieben. Eine Übersichtsarbeit aus mehreren deutschen Kliniken zur pränatalen Strahlenexposition hat die hierfür verfügbare Evidenz geprüft.

Bei den allermeisten Untersuchungen liegt die Exposition unter 20 mSv. Hier wird das Risiko für den Embryo als nicht vorhanden oder nicht detektierbar, in jedem Fall als gering eingeschätzt (12). Davon sollte die Schwangere sofort unterrichtet werden, um eine psychologische Belastung zu vermeiden. Nur selten sei der Uterus höher exponiert. Überhaupt gibt es erst ab Dosen von > 100 mSv Hinweise auf ein mögliches Abortrisiko, auf kongenitale Fehlbildungen und IQ-Minderungen oder mentale Retardierung. Aus radiologischer Sicht sollte dann in einem interdisziplinären Team über das weitere Vorgehen beraten werden. Dr. med. Martina Lenzen-Schulte

Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit0923 oder über QR-Code.

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